Neulich beim Ausreiten:
„Sag mal, als Sommelier kannst Du mir bestimmt einen Tip geben. Ich suche einen guten Wein, der weniger als fünf Euro kostet. Da kennst Du Dich doch mit aus, oder?“
Ups. Nein.
Damit kenne ich mich nicht aus. Ich kenne bestimmt Weine die unter fünf Euro Endverbraucher liegen, aber jetzt so bewusst? Nein.
Mein Beruf ist es Weine zu verkaufen, zu Gerichten aussuchen, Empfehlungen am Tisch auszusprechen, Weine einzukaufen, die Weinkarte auf dem aktuellen Stand zu halten, den Weinkeller zu hüten, einzuräumen, auszuräumen, Preise kalkulieren, Tastings, Weine verkosten, Kontakt zu Winzern und Händlern pflegen, Wissen weiter geben, mich immer weiter zu bilden, niemals stehen zu bleiben.
Natürlich achte ich auf Preise, allerdings nicht primär. Ich bin kein Kaufmann, sondern Sommelier. Also achte ich auf Geschmack und Qualität.
Ich kann spontan Weine empfehlen, die unter 10 Euro liegen (Endverbraucher), denn ich finde das ist ein ordentliches Preissegment, wo man guten Gewissens schon tolle Weine bekommt, die Spass machen und alltagstauglich sind. Der sogenannte „Brot und Butter Wein“ eines Winzers.
„Das ist aber teuer, ich kenne mich damit nicht aus und möchte nicht so viel Geld ausgeben.“
Das Gespräch ging weiter, irgendwann kamen wir auf Ernährung, Lebensmittel, Nachhaltigkeit, Fleischverzicht bei Massentierhaltung.
Lieber etwas mehr zahlen oder eben vegetarisch /vegan.
Ein ganzes Tier kaufen und „from nose to tail“ verarbeiten.
Da kam ich wieder auf den Wein zu sprechen.
Ein Wein, der unter fünf Euro kostet kann bestimmt schmecken.
Aber ich weiß auch genau, wie er produziert wird, bevor er in Massen im Supermarktregal steht.
Im Weingarten werden Herbizide und Pestizide gespritzt gegen Pilzkrankheiten.
Es wird mit dem Traktor durch die Rebzeile gefahren, der Boden verdichtet sich, das Wasser staut sich an der Oberfläche.
Dann kommt zum Schluss der Vollernter durch die Rebzeilen gefahren und erntet alles, was ihm in die Quere kommt. Reife Trauben, unreife Trauben, Blätter, Tiere, alles eben.
Das ganze kommt dann in eine horizontale Presse und wird mit sehr viel Druck ausgepresst, da man soviel Saft wie möglich haben möchte.
Damit alle unerwünschten Stoffe wie z.B. Eiweiße, Spritzrückstände und Schimmelpilze aus dem Wein wieder heraus kommen und um das Säuremanagment zu regeln, setzt man verschiedene Stoffe ein: Gelatine, Hausenblase (die Schwimmblase von Fischen), Kaliumhydrogentatrat, Calciummalattartrat etc.
Weil bei einem Vollernter nicht zwischen den Reifegraden der Trauben unterschieden wird, gelangen etliche unreife Trauben in den Most, die eine sehr hohe Säure haben und zu wenig Zucker. Das wird dann im Keller geregelt, indem man die Säure chemisch heraus nimmt und für den nötigen Zucker im Most der für die Gärung zuständig ist, wird chaptalisiert, das heißt, es wird Zucker hinzugefügt. Dann kommen die Reinzuchthefe — die Gärung setzt ein. Damit sämtliche unansehnliche Stoffe die durch die „Schönung“ ausgefallen sind und sich absetzen aus dem Wein kommen, wird der Wein filtriert.
So bekommt man auf der Basis von unselektierten Trauben einen durchaus trinkbaren Wein hin, der nicht unbedingt schlecht schmecken muss, aber unter fünf Euro Endverbraucherpreis liegt.
Die meisten Weine mit denen ich mich beschäftige sind anders produziert worden.
Der Winzer arbeite viel im Weingarten, damit die Trauben, die geerntet werden in einem Top Zustand sind. Die Lese findet von Hand statt. Da braucht man viele Hände um in einem bestimmten Zeitfenster die Trauben rein zu bekommen.
Aber: hier wird im Weingarten selektiert, reife Trauben kommen in den Wein, unreife Trauben werden hängen gelassen und vielleicht in der zweiten Runde geerntet und vergammelte, sowie kaputte Trauben werden abgeschnitten und auf den Boden geworfen.
So gelangen nur selektierte Trauben in die Presse. Dort wird mit wenig Druck gearbeitet, da man die Traubenkerne nicht zerstören möchte.
Haben sie schon mal auf einen Traubenkern gebissen? Das macht nicht so viel Spass, deswegen sind bei den Trauben aus dem Supermarkt die Kerne weggezüchtet, denn keiner möchte auf Kerne beissen.
Daraus folgt, das die Trauben nicht bis auf den letzten Tropfen ausgequetscht werden.
Die Weine gären entweder mit natürlichen Hefen, die auf den Traubenschalen sitzen oder mit Reinzuchthefe.
Dadurch das im Weingarten schon alles passiert ist, muss im Weinkeller nicht mehr viel gemacht werden. Die „Schönung“ fällt weg. Oft wird der Wein noch nicht mal filtriert, sondern es wird mit Schwerkraft gearbeitet, die Hefen setzen sich am Boden des Fasses ab und der Wein wird einfach abgezogen.
Man kann sich natürlich vorstellen, das der Preis ein anderer ist und die Wahrscheinlichkeit einen Wein der im Weingarten selektiert wurde unter fünf Euro Endverbraucher zu finden, recht gering erscheint.
Und wir haben uns noch nicht über ein Biosiegel wie Demeter o.ä. unterhalten, die noch strengere Auflagen haben.
Massenproduktion an der Traube und im Glas ist ein Industriezweig, das hat nichts mit Nachhaltigkeit, romantischer Weinkelleridylle oder Liebe zu Produkt zu tun.
Es ist genau das gleiche wie alle Harribos, Müllers, Funny Frischs, Wiesenhofs usw.
Ein industriell, chemisch erzeugtes Lebensmittel, auf Basis eines Agrarproduktes.
Empfehlung Weine unter 10 € Endverbraucher:
2019 Vom Schiefer Riesling QbA trocken, Ansgar Clüsselrath — Mosel
2019 Naturweiss, Kai Schätzel — Rheinhessen
2020 Jean Baptist Riesling Kabinett, Gunderloch — Rheinhessen